Mit erfrischendem Morgenkaffee und einem zwanglosen Branchen Come Together startete letzten Samstag die VHÖ Tagung in Wien. VHÖ Präsident Ing. Peter Edlhauser begrüßte das somit frisch gestärkte und aufgemunterte Auditorium im Ibis Hotel Mariahilf.
VHÖ Präsident Ing. Peter Edlhauser begrüßte das Auditorium
Klangwahrnehmung der eigenen Stimme
Dipl. Ing Sebastian Best reiste vom Sivantos R&D Audiology Expert Team an und berichtete über eine neuentwickelte Methode, mit der die Natürlichkeit des Klanges der eigenen Stimme gewährleistet werden kann. Er berichtete von Studien mit hunderten Probenden, die zeigen das jeder zweite Hörgeräteträger bisher mit dem Klang seiner eigenen Stimme unzufrieden ist. „Um die vielen bisher unversorgten Menschen mit Hörverlust zu einem Hörgerät zu bringen, muss ein Hörgerät in jeder Situation so natürlich wie möglich klingen. Die Situation, in der man selbst spricht ist dabei mindestens so wichtig wie gutes Sprachverstehen“, so Best.
Um das Problem zu lösen, zeigte der Referent Vorbilder aus der Natur auf: Zum Beispiel haben Vögel ein ganz besonderes Problem mit der eigenen Stimme, sie produzieren mit Ihrem Gesang Pegel bis 130db am Trommelfell und nutzen einen ähnlichen Muskel wie den Stapediusmuskel des Menschen um das eigene Gehör vor diesen Pegeln der „eigenen Stimme“ zu schützen. Best berichtete im Weiteren über die Zusammenhänge zwischen dem menschlichen Stapediusmuskel und der Wahrnehmung der eigenen Stimme.
Dipl. Ing Sebastian Best: „Own Voice Processing lässt eigene Stimme natürlicher erscheinen“
So klingt die eigene Stimme immer gänzlich anders, als sie andere wahrnehmen. Mit einem Hörsystem klingt die eigene Stimme dann noch einmal anders. Die Annahme, dass dies durch den Okklusionseffekt zustande käme wurde dadurch widerlegt, dass etwa 60% aller Anpassungen offen und 30% mit Belüftung erfolgen. Vielmehr kommt der Effekt der veränderten Stimmwahrnehmung durch die Verstärkung des Hörsystems zustande. Konkret erleben Luft- und Knochenschall bei Verwendung eines Hörsystems ein neues Gleichgewicht, welches die Wahrnehmung der eigenen Stimme verändert. Diese Tatsache führt manchmal zu Kompromissen in der Anpassung – um die eigene Stimme wieder natürlicher erscheinen zu lassen. So wird oftmals die Verstärkung reduziert um die eigene Stimme normaler erscheinen zu lassen.
Die eigene Stimme ist allerdings ein dreidimensionales Phänomen. So ist der akustische Weg zum eigenen Ohr sehr individuell. Die Natürlichkeit des eigenen Stimmklanges kann in Hörsystemen mittels binauraler Richtmikrofone und der einmaligen Analyse der eigenen Stimme erfolgen. „Eine ‚Own Voice Processing’ erfolge dann nach dem Vorbild der Natur“, so Best.
Fritz Zajicek moderierte routiniert durch die Tagung
Versorgung mit modernen Knochenleitungssystemen
Knochenleitungsexperte Franz Berl, Geschäftsführer BHM, zeigte eingangs in seinem Bericht die unterschiedlichen Eigenschaften von transkutaner und perkutaner Schallübertragung. Er gab eine umfassende Übersicht über verschiedene, im eigenen Haus entwickelte Systeme, die eine erfolgreiche Versorgung über die Knochenleitung ermöglichen.
„Ich bin froh, dass es in Ost-Österreich nun ein sehr aktives und innovatives Optiker- und Hörakustiker-Ausbildungszentrum gibt in dem auch über die Anwendung und Anpassung von Knochenleitungshörsystemen unterrichtet wird nebst eLearningmodulen, die eine zeitgemäße Möglichkeit der beruflichen Ausbildung gewährleisten“, betonte Berl.
Franz Berl: „Knochenleitungssysteme haben mehr Potential als Alternative als derzeit in der Branche genutzt“
Berl demonstrierte unter anderem Anwendungsmöglichkeiten mit einer Integration in handelsübliche Brillen und als dezente Variante als Teil eines Stirnbandes.
„Im kommenden Jahr wird eine Weiterentwicklung des BHM contact mini präsentiert werden“, verriet Berl. „Es wird unter anderem wasserdicht, mit Wireless Funktionen versehen und mit Smartphones koppelbar sein. Zudem wird auch eine Kombination mit einem Magnetimplantat angeboten werden.“
In einem erfrischenden Dialog mit dem Auditorium wurde nach dem Vortrag die österreichische Situation hinsichtlich der Kostenübernahme durch die Sozialversicherungen und die genaue Anpassung dieser innovativen Systeme diskutiert.
Intelligente Kompression für eine dynamische Signalverarbeitung
Alltagsgeräusche erstrecken sich über einen großen Pegelbereich. Die Berechnung der Verstärkung von Hörsystemen erfolgt auf Basis der ermittelten audiologischen und akustischen Daten. Christophe Lesimple, Audiologe bei Bernafon, eröffnete seinen Vortrag mit einer Reflexion über den Effekt der Kompression auf die Sprachverständlichkeit. So entsteht ein Problem in der Verstärkung durch die fehlende Unterscheidung hinsichtlich der Kompression in Sprache oder Lärm. Er berichtete in diesem Zusammenhang unter anderem über die Grenzen der akustischen Umgebungsanalyse. Ist die Umgebungsanalyse des Hörsystems zu langsam, so fehlt es an Präzision – das Hörsystem reagiert schlicht und ergreifend zu langsam. Allerdings ist die Kompression der Dynamik sehr wichtig um eine gute Hörbarkeit zu gewährleisten. Dies trifft im Besonderen auf Sprache zu. Eine Direktionalität der Mikrofone nebst einer veritablen Geräuschunterdrückung und spezielle Klassifikationsalgorithmen können die Hörfähigkeit wohl verbessern aber das Grundproblem der Störgeräuschproblematik nicht komplett eliminieren.
Christophe Lesimple: „Nutzung der Dynamic Amplification Control empfehlenswert“
Der Referent erklärte in diesem Zusammenhang die Logik der neuen Dynamic Amplification Control (DAC) – ein Kontrollsystem welches kontinuierlich die Sprach- und Störgeräuschanteile analysiert. Konkret wird die Hörumgebung analysiert, ein bereinigtes, unverstärktes Signal erstellt und dieses einer qualitativen Identifizierung der Signalkomponenten zugeführt, welches zwischen Sprache und Lärm differenziert. „Das Ergebnis ist ein ideal verstärktes Signal“, so Lesimple.
Er berichtete über Studie mit 30 erfahrenen Hörsystemeträgern. Mit Hilfe eines Worterkennungstests wurde – jeweils nach einer Woche Tragezeit unter Nutzung der Dynamic Amplification Control und nach einer Woche ohne diesem neuen Kontrollsystem – die Hörfähigkeit mit den Hörsystemen bewertet. Wiewohl es keine individuelle Lösung für die Präferenzen der Hörsystemenutzer gibt, wurde die Verstärkung unter Einbindung der Dynamic Amplification Control von den Studienteilnehmern mit einem höheren Komfort bewertet. „Die Worterkennung im Lärm war gleichbleibend hoch zwischen den Testbedingungen aber die Antwortzeit konnte mit Hilfe des Algorithmus verbessert werden“, resümierte Lesimple.
Effektive Lichtsignalanlagen und Hörverstärker als Geschäftsfeld
Olaf Kirschberger, Hörakustikermeister und Geschäftsführer von Bellman & Symfon empfahl bereits in der Phase der Anpassung Kundenanforderungen zu erheben und gegebenenfalls individuell Lichtsignalanlagen anzubieten. „Nicht alle Herausforderungen werden mit den Hörgeräten gelöst. Bereits in der laufenden Anpassphase sollten notwendiges Zubehör, wie etwa eine optische Türglocke angesprochen werden“, empfahl Kirschberger. So erlebt der Kunde die Anpassung und die Nutzung des Hörsystems im Gesamten als positiv.
Olaf Kirschberger: „Lichtsignalanlagen bereits beim Anpassen der Hörsysteme in das Beratungsgespräch integrieren“
Eine im Fachgeschäft installierte Lichtsignalanlage wird beispielsweise dazu führen, dass die Kunden den Nutzen des Produkts anschaulich erleben. Mit dieser Strategie wird auf das Thema Lichtsignalanlagen eingegangen – lange noch bevor das eigentliche Verkaufsgespräch beginnt. „Lichtsignalanlagen, die nicht im Geschäft vorhanden sind, werden in der Regel auch nicht verkauft“, resümierte Kirschberger.
Im Weiteren zeigte der Referent den Nutzen optischer Wecker und anderer Hilfsmittel. Optische Hilfsmittel in Form von Telefonsender benachrichtigen sowohl bei einlangenden Festnetz- als auch Mobiltelefonanrufen. Türsender nehmen akustisch die bestehende Türklingel wahr und übertragen kabellos zum Hörsystemeträger. Zur Nutzung ist lediglich eine Anbringung des Senders in der Nähe der Türglocke mit einem doppelseitigen Klebeband notwendig. Babyrufsender sorgen für eine zuverlässige Übertragung mit einer stabilen Funkverbindung über bis zu 250 Meter Reichweite. Auch Notrufsender und Rauchmelder machen als optische Alarmvariante Sinn. Die Signale können auf einen oder mehrere Empfänger – auch auf einen Pager – übertragen werden.
In seinem zweiten Vortragsteil referierte Kirschberger zum Thema Hörverstärker. Er sah diese nicht als Verhinderung einer qualifizierten Hörgeräteversorgung, sondern vielmehr als Unterstützung. Kirschberger wies auf den Nutzen von Hörverstärkern als vorbereitende Maßnahme auf die eigentliche Hörgeräteversorgung hin – wenn sich der Kunde vorerst nicht zu einer Versorgung durchringen kann. Die Verwendung kann zu einer Sensibilisierung des Kunden hinsichtlich seines Hörverlustes führen. „Der Leidensdruck wird durch die Nutzung des Hörverstärkers erhöht, da der Kunde natürlich feststellt, dass er mit einer richtigen Versorgung mit Hörsystemen in allen Lebensbereichen besser zurechtkommen würde“, betonte Kirschberger. „In den meisten Fällen kommt der Hörverstärkerträger nach etwa sechs Monaten zu einer Anpassung eines individuellen Hörsystems.“
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Nutzen audiologischer Hintergründe bei Hörsystemen
Hans-Christian Drechsler, Senior Audiologist GN ReSound berichtete über Strategien um Sprachsignale in Hörsystemen besser verständlich zu machen. Der Referent erklärte in diesem Zusammenhang unter anderem die Vorteile von einstellbaren Bandsplit Frequenzen. „Ein individuell vorhergesagter, direktionaler Mix bietet die beste Balance zwischen einem verbesserten Sprachverstehen im Geräusch“, so Drechsler. Zudem führe dies zu einer besseren Klangqualität.
Hans-Christian Drechsler: „Nutzung der Strategie des besseren Ohres“
Drechsler zeigte mit anschaulichen Grafiken das asymmetrische Direktionalitätsprinzip bei modernen Hörsystemen. So stellt die 360° Hörbarkeit und Wahrnehmung in Ruhe und in Situationen mit Sprache alleine eine wesentliche Rolle. Es ermöglicht ein dreidimensionales Bild der Hörumgebung da eine spatiale Differenzierung stattfinden kann. Auch stellen die Hinweisreize bei der Lokalisation und die Band-Split Verarbeitung eine wesentliche Rolle in der Qualität des Hörens. Eine wesentliche Strategie der Audiologie ist unter anderem deshalb die Wiederherstellung der interauralen Leveldifferenzen (ILD’s). Mit solchen „smarten“ Hörsystemen wird eine verbesserte Lokalisation wieder ermöglicht.
Zusammenfassend betonte der Referent, dass im omnidirektionalen Betrieb räumliche Hinweise für eine 3D-Umgebung und Lokalisation geboten werden. Zudem bieten binaurale Direktionalitätsprinzipien eine mögliche „Strategie des besseren Ohres“ für das Sprachverstehen von vorne – entweder mit dem Modus asymmetrisch direktional oder binaural in Abhängigkeit von der Hörumgebung.
Nutzen binauraler Algorithmen in der Abhängigkeit der individuellen Hörfähigkeit
Dr. Matthias Latzel, Research Audiologe bei Phonak, berichtete in seinem Vortrag über die Individualisierung bei Hörgeräteversorgungen mit Hilfe der Überprüfung des binauralen Hörvermögens. Er ging den Zusammenhängen zwischen dem Sprachverstehen mit unterschiedlichen binauralen Beamformer Algorithmen, der Symmetrie beim Hörverlust und dem binauralen Hörvermögen nach und berichtete unter anderem über eine damit im Zusammenhang stehende aktuelle Studie aus Oldenburg.
Dr. Matthias Latzel: „Individuelle Hörfähigkeit kann durch binaurale Algorithmen verbessert werden“
Während sich die Symmetrie des Hörverlustes als kein signifikanter Faktor erwies, konnte das binaurale Hörvermögen als signifikanter Parameter für das Sprachverstehen im Störgeräusch und die Wirksamkeit der verschiedenen Beamformer Algorithmen nachgewiesen werden. Auch zeigte sich, dass die Eigenschaft des Störgeräusches einen signifikanten Einfluss auf den Effekt der verschiedenen Beamformer Algorithmen hat.
Zusammenfassend betonte Latzel, dass mit der Ermittlung der Symmetrie und dem Grad des Hörverlustes im Audiogramm nur sehr bedingt auf das binaurale Hörvermögen geschlossen werden kann. Die N0Sπ Detektion bei 500 Hertz korreliert auffallend mit den Ergebnissen in der Messung der binauralen intelligibility Differenz (BILD). Sie stellt offenbar eine sehr gute Möglichkeit dar, um die binaurale Hörfähigkeit eines Klienten zu messen. Dies sei deshalb von Interesse, da die Qualität des binauralen Hörvermögens das Sprachverstehen unter dem Einfluss lokaler Störgeräusche beeinflusst.
Infos zu kommenden Veranstaltungen der VHÖ finden Sie direkt auf der Homepage vom Verband der Hörakustiker Österreichs: www.vhoe.at