Zum alljährlichen Frühjahrsseminar lud der VHÖ, der Verband der Hörakustiker Österreichs, auch heuer wieder am Freitag, den 24. April alle Akustiker in das Wyndham Grand Hotel nach Salzburg.
Präsident Ing. Peter Edelhauser konnte sich bei seiner Begrüßung wieder über äußerst reges Interesse und Teilnahme freuen. Große Brisanz hatte das Fachtreffen vor allem wegen des erst wenige Tage vorher gesendeten ORF – Berichtes in „heute konkret“ über mangelhafte Kundenberatung bei zahlreichen Akustikbetrieben.
Super-Power – wie am Besten versorgen
Eröffnet wurde der Vortragsblock von Klemens Zimmermann von der Fa. GN Resound, der sich dem Thema Super-Power –Versorgungen widmete. Es stellt sich die Frage, ob ausschließlich Power und Output die beste Strategie in solchen Anpassfällen ist. Hr. Zimmermann machte seine Zuhörer mit einer Studie von Ramsdell vertraut, wonach man 3 „Bedürfnisebenen“ des Hörens einteilen kann. Die Basis ist das Grundbedürfnis, wie z.B. Hintergrundgeräusche, danach Signale/Wahrnehmung, dazu gehört die Orientierung und Alarmierung. 3. Stufe ist schließlich das Sozialbedürfnis, die Kommunikation.
Die Anforderungen an eine Hörgeräteversorgung sind (lt.Ramsdell).: Lippenlesen, Hören, wenn ein Geprächspartner spricht und Telefonieren. Anhand einer Life-Demo bewies der Vortragende dass es nicht immer nur volle Verstärkung und dichte Otoplastiken zum Ziel führen müssen:
Bei 2 Messungen mit einem Super-Power-Gerät (Enzo), einmal dicht am Kuppler, ohne Belüftung und eingeschaltetem Rückkopplungspfad und einmal mit einer 2,0mm Bohrung und Rückkopplungspfad „sehr stark“ stellte sich heraus, dass es nur unterhalb von 500Hz zu Verlusten in der Verstärkung kam. Anhand einer weiteren Life-Demo führte Hr.Zimmermann den „Mc Görg-Effekt“ vor, wonach visuelle Eindrücke deutlich vor gehörtem gehen. (Die Zuhörer konnten einer Person auf die Lippen sehen, die „Ba, Ba, Ba, sprach, der Ton dazu war aber Da, Da, Da,..
Auch neue Techniken können zum besseren Verstehen genutzt werden:
FaceTime liefert Audio und Video-Signale (hat jedermann in der Tasche am iPhone und auch auf Android – Handys) könnte dabei helfen.
In einer Studie erbrachte audiovisuelles Telefonieren den Betroffenen eine zusätzlichen „Verstehvorteil“ von 23% gegenüber beidohrig gestreamtem Audiosignal.
„heute konkret“-Bericht – eine kleine Diskussion
Aufgrund einer sehr plötzlichen Verhinderung des Vortragenden entfiel der nächste Vortrag, was allerdings die Möglichkeit eröffnete, sich mit „dem“ aktuellen Thema auseinanderzusetzen, nämlich den Beitrag in der ORF-Service-Sendung „heute konkret“ vom 20.04. und der Replik im gleichen Sendeformat am 23.4:
Eine Testkäuferin hatte mehrere Hörgeräteakustiker zum Beratungsgespräch aufgesucht und dabei teils sicher als skandalös einzustufende Auskünfte erhalten. In der Sendung diskutierten Dr. Josef Probst, Vizepräsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und Hr. Mag. Josef Riegler, Bundesinnungsmeister der Hörgeräteakustiker. Die zweite Sendung vom 23. 4. setzte dann noch nach mit dem Bericht eines ehemaligen Berufskollegen, der aus „ethischen Gründen“ den Beruf gewechselt hat, weil er von seiner Gebietsleitung gedrängt wurde, teuere (unnötige) Geräte zu verkaufen.
Gemeinsam mit dem Auditorium diskutierte der Vorstand über sinnvolle und notwendige Schritte von Seiten des VHÖ, um vor allem gegen Pauschalverurteilungen aufzutreten.
Ergebnis war ein Brief, der an die Sendungsredaktion und den Hauptverband gerichtet wird. Darin wird unter anderem angesprochen, dass die Innung keine Möglichkeit hat, gegen einzelne Mitglieder vorzugehen, die sich nicht Vertragskonform verhalten, sehr wohl aber der Hauptverband bzw. die Sozialversicherungsträger. Eine zweite Idee war der Entwurf zu einem Aufkleber mit einem gezeichneten Schaf und dem Text „wir sind die weißen Schafe“
Binaurale Richtmikrofone – Sivantos
Nach der Pause referierte Herr DI Sebastian Pape von der Firma Sivantos zum Thema „Binaurale Richtmikrofonie- Hintergrundwissen für die Praxis“. Sein Kernsatz an die Zuhörer lautet: „Technologie kann helfen, etwas besser zu verstehen, oder das Richtige besser zu verstehen.“ Technisch muß man unterscheiden zwischen der (bisherigen) monauralen Richtmikrofonie, welche 2 Mikrofone pro Gerät benötigt hat und den neuen Möglichkeiten mit der binauralen Richtmikrofonie, die sowohl mit 2 Mikros pro Gerät als auch mit einem Mikro pro Gerät funktionieren kann.
Eine ganz entscheidende Rolle spielt hierbei der Kopf des Trägers in der Mitte, wodurch auch mit nur einem Mikro Richtungserkennung möglich wird. Dadurch ist auch eine deutlich engere Richtwirkung realisierbar. Wenn man z.B. annimmt, dass das Nutzsignal von vorne- das Störsignal von der Seite kommt, so hören beide Ohren von vorne gleich gut, weil hier der Kopfschatten keine Rolle spielt. Bei der neuen binaurale Technologie kann nun auch das Signal des anderen Ohres (Abschattung des Störpegels durch den Kopf) verwendet werden.
Es laufen ständig Analysen betreffend der Änderung der jeweiligen Geräuschsituation bzw. der „Hörumgebung“. Der Stromverbrauch erhöht sich dadurch „nur unwesentlich mehr“
AutoSense – Sieben auf einen Streich
Als altbekannter und gern gesehener Referent präsentierte Dr. Matthias Latzel von der Firma Phonak im Anschluß „Sieben auf einen Streich“ Die neue Geräteserie AutoSense kann nämlich sieben verschiedene Hör/Geräusch-Situationen erkennen.
In der Praxis sind allerdings die Bereiche: ruhige Umgebung, Verstehen im Störgeräusch, Komfort im Störgeräusch, Musik, verstehen im lauten Störgeräusch und bei Fahrgeräuschen, sowie Komfort in Halligen Situationen nicht immer zu trennen, weswegen auch zu Vermischungen der jeweiligen Einstellungen kommen kann.
Hörgeräteeinstellungen für Musikliebhaber
Auch der nächste Vortrag war ein besonderes „Highlight“: Frau Mag. Esther Rois-Merz ist sowohl Tontechnikerin als auch Hörgeräteakustikerin und hat sich in Ihrem Geschäft in Wien auf die Anpassung von Hörgeräten für Musiker und Musikbegeisterte spezialisiert.
Daher lautete Ihr Thema auch „Anpasstrategie für Musiker und Musikliebhaber“
Etwaigen Einwänden, dass die richtige Einstellung für Musik sicher nur ein „Nebeneffekt“ bei der HG Anpassung sein kann, hält sie sofort entgegen, dass alle Teilnehmer zu Mittag das Essen am Buffet auch (hoffentlich) durchaus genossen haben und sich dabei nicht nur ernährt haben. Das dreht die „Bedürfnispyramide“ um! Schon allein basierend auf den verschiedenen Anregungsarten von Musikinstrumenten (zupfen, blasen, streichen)ergibt sich eine enorme Vielfalt und ein unglaublich großer Frequenzbereich, der übertragen werden will.
Einn großer Unterschied zu Sprache ergibt sich schon allein dadurch, dass Sprache keine Ausschwingzeit hat. (Luftsäule weg, Klang weg), Musikinstrumente aber fast immer. Ein weiterer klarer Unterschied in der Anforderung an das bestmögliche Gerät liegt darin, dass 70% der Information oberhalb von 100Hz liegen, nur 30% darunter. Die meisten Datenblätter beschreiben einen Bereich von unter 200Hz gar nicht, obwohl sehr viele Musikinstrumente ihre Grundtöne dort haben!
=> auch durch offene Versorgungen sind diese Frequenzen natürlich weg!
Das alles stellt spezielle Anforderungen an die Hörgeräteindustrie. Anhand von Tonbeispielen (türkischer Marsch) bringt die Referentin dem Publikum nahe, wie 3 verschiedene Geräte das gleiche Musikstück „verarbeiten“ Das aktivieren von Automatikprogramme ist fast immer kontraproduktiv. Frau Rois-Merz arbeitet in ihrem Geschäft sehr viel mit dem „Klangfinder“, mit dessen Hilfe 3 verschiedene Hörsysteme direkt und gleichzeitig vergleichbar sind.
Wie den MPO in der Pezentilanalyse richtig einstellen
Im nächsten Vortrag berichtete Hr. Dr. Steffen Kreikemeier unter dem Titel „Mit ISTS und SINUS zur richtigen MPO“ von neuen Ergebnissen einer Arbeitsgruppe innerhalb der EUHA. Ein Grundproblem der Perzentilanalyse ist demnach, dass das Signal eigentlich als Methode zur Charakterisierung der Hörgerätesignalverarbeitung und nicht als Anpassstrategie konzipiert war (und da nur für Pegel von 65dB und nicht für andere Lautstärken).
Schon von daher ist das Signal also nicht für die MPO-Überprüfung geeignet und hat tatsächlich hier auch Schwächen. Die MPO wird tendenziell zu niedrig eingestellt. Außerdem berücksichtigt die gängige Anpasstrategie NAL-NL2 die individuelle U-Schwelle nicht.
Die Lösung ist ein ISTS-Signal mit einem „eingebauten“ Sinuston mit 0,5, 1,0, 2,0, und 4kHz mit einer Signallänge von 250ms, Signalflanken von 25ms und 250ms Pause. Zu beachten ist hierbei aber, dass nicht mehr die gewohnte Grafik entsteht, sondern Spitzen, weil die Sinustöne auf 90dB hinaufgehen, das ISTS-Signal aber auf 55dB bleibt.
Richtiger Umgang mit dementen Kunden
Ein ganz aktuelles und viel diskutiertes Thema spricht der nächste Vortragende an: Hr. Dr. med. univ. Martin Kühnerer beleuchtet „Kognitive Probleme bei Demenz und deren Bedeutung für die Anpassung von Hörsystemen“ Die Betroffenen verlieren zunächst das Kurzzeitgedächtnis, das Langzeitgedächtnis geht als Letztes verloren. Für das Jahr 2030 sind 233.000 Demenzerkrankungen prognostiziert, davon 60-80% Alzheimer. Manche Grunderkrankungen wie Diab. mell sind ein sehr hoher Risikofaktor, regelmäßiges Gehirntraining -in welcher Form auch immer- ist ein fast sicherer Ausschließungsgrund für die Erkrankung. Eine ganz typische Eigenschaft von Demenzerkrankten ist das sogenannte „Sun Downing“ (gestörter Wach-Schlaf-Rhytmus), wonach die Patienten munter werden, wenn die Sonne untergeht. Mit allen Folgen für die Betreuenden!
Für uns als Akustiker hat der Mediziner viele praktische Tips parat. Kurze und klare Sätze und geschlossene Fragen, di emit „Ja“ od. „Nein“ zu beantworten sind, sind hilfreich, den künden nicht kritisieren und durchaus auch haptisch angreifen, am Besten an der Schulter, nie am Handgelenk. Begleitende Vertrauenspersonen sind in diesen Fällen ganz besonders wichtig.
Mit einem Bericht des VHÖ-Vorstandes über Aktivitäten im vorangegangenen Jahr endet dieser spannende Vortragstag und es gibt auf Einladung der Industrie auch heuer die Möglichkeit, den Tag bei Speis und Trank und im Gespräch mit Kollegen ausklingen zu lassen.
Michael Kienzle – Wie vermarkte ich mich selber
Der Samstag war einem Verkaufsseminar mit dem bekannten Trainer Michael Kienzle gewidmet. In den Räumlichkeiten des WIFI Salzburg ging es um „Die Marke Ich“, also wie wir uns selbst unvergleichbar, einzigartig und „merkwürdig“ im Verkaufsgespräch präsentieren und Kunden in Erinnerung bleiben können. Durch die ausgezeichneten Branchen – Detailkentnisse von Hr. Kienzle gelang es ihm sehr gut „maßgeschneidert“ Tipps und Anregungen zu geben, die man tatsächlich direkt in der täglichen Arbeit mit dem Kunden umsetzen kann.
Am Ende dieses ganztägigen Seminars war jeder Teilnehmer bereichert und motiviert von einem spannenden und lehrreichen Wochenende.
Autor dieses Artikels:
Michael Riebl, MSc
Diplomierter Hörgeräteakustiker
Optometrist, Master of Science (Klinsche Optometrie/Clinical Optometry)
Email: riebl@akustiker.at